Wenn Kinder nicht mehr essen wollen: Wie Bezugspersonen am besten reagieren
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Wenn Kinder nicht mehr essen wollen: 
Wie Bezugspersonen am besten reagieren

Manchmal kommt es vor, dass Kinder plötzlich ihr Essverhalten radikal ändern oder schon seit längerem ein auffälliges Essverhalten zeigen. Das führt sowohl bei Pädagogen als auch bei den Eltern und anderen Bezugsperson oft zu Sorge und Verunsicherung. In unserem Beitrag „Wenn Kinder nicht mehr essen wollen - normal oder besorgniserregend?“ haben wir uns schon ausführlich mit Dr. med. Tobias Reploh darüber unterhalten, wie solche Erscheinungen mit der Entwicklung des Kindes zusammenhängen können und wie die Ernährungsumstellung bei kleinen Kindern erfolgen kann.
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WICHTIG! Dieser Artikel bezieht sich auf gesunde Kinder. Es gilt die ausdrückliche Empfehlung im Rahmen einer kinderärztlichen Untersuchung abklären zu lassen, ob das auffällige Essverhalten gesundheitliche Ursachen hat.

Wie sollte man sich als Bezugsperson verhalten, wenn das Kind sein Essverhalten verändert? Wo kann ich mir Hilfe holen? Und was mache ich, wenn mich mein Kinderarzt nicht ernst nimmt?

Auch bei diesen und weiteren wichtigen Fragen hat uns Dr. med. Tobias Reploh wieder Rede und Antwort gestanden.

Was würden Sie denn sagen, wie sollte man als Bezugsperson am besten reagieren, wenn das Kind plötzlich das Essen verweigert oder kaum mehr was isst?

Dr. med. Tobias Reploh:

Das Wichtigste ist, beim Essen eine gute und klare Ritualisierung zu haben. Es gibt drei Hauptmahlzeiten (Frühstück, Mittag- & Abendessen) und zwei Zwischenmahlzeiten. Das bezieht sich auf Kleinkinder, Kindergartenkinder und Schulkinder. Diese Mahlzeiten sollten am Tisch, bestenfalls im Kreise der Familie, eingenommen werden und die Kinder sollen dabei nicht abgelenkt werden.Das bedeutet, dass kein Fernseher, Handy, Hörspiel oder Tablet laufen soll. Außerdem sollten keine Spielchen wie „Ein Löffel für die Mama, ein Löffel für den Papa, …“ oder „hier kommt das Flugzeug“ gespielt werden. Das gleiche gilt für motivierende Aktionen, wie beispielsweise der Papa tanzt dem Kind etwas vor, während die Mama das Kind füttert. Essen ist eine Aufgabe, der das Kind und die Bezugspersonen ihre Aufmerksamkeit widmen sollen – nichts anderem. Zudem ist Essen auch nichts, wofür man das Kind loben muss. Es ist nicht sehr sinnvoll, das Kind mit einem „Du hast ja ganz brav gegessen“ zu loben, denn die Nahrungsaufnahme ist ja im Grunde nichts Besonderes, sondern etwas Grundlegendes und Selbstverständliches wie das Atmen.

Wichtig ist auch, dass Kinder, wenn sie etwas trinken, nur Wasser oder ungesüßten Tee* trinken. Dabei sollte auch nicht „nur ein kleines Schlückchen“ Saft oder Milch mit hinzugegeben werden. Grund hierfür ist, dass die Kinder sich nicht „satt“ trinken sollen, damit sie wirklich mit Hunger an den Tisch und die Nahrungsaufnahme gehen.

Wenn es dann an das Essen geht, ist folgende Regel hilfreich: Es gibt, was es gibt und das Kind sollte wenigstens mal probieren. Wenn das Kind dies nicht mag, dann kann es eine gesunde Alternative nennen, die es bevorzugt. Wenn das Kind diesnicht will, dann gibt es halt nichts zu essen. Das Kind sollte aber so lange am Tisch sitzen bleiben, bis das Essen beendet ist (bitte beachten, dass hierbei  eine kindgerechte Zeitspanne festgelegt werden sollte –  eine Stunde wäre zu lang). Denn das Essen am Tisch ist ja nicht nur die Nahrungsaufnahme an sich, sondern auch ein soziales Miteinander und der Austausch in der Familie, an welchem das Kind teilhaben sollte.

Später kommt noch ein entscheidender Moment. Denn meist gibt das Kind nach einiger Zeit zu verstehen: „Jetzt habe ich aber doch Hunger!“. Hier ist es wichtig, dem Kind konsequent und klar zu vermitteln, dass es gerade, als es etwas zu essen gab, nichts essen wollte und jetzt bis zur nächsten Zwischenmahlzeit warten muss. Denn es verhungert ja kein Kind vor einem vollen Teller. Und man verdurstet auch nicht vor einem vollen Glas Wasser. Man muss sich als Bezugsperson dann auch drei bis vier Tage darauf einlassen, dass das Kind etwas Hunger hat, wenn es bei den Mahlzeiten (und der angebotenen Alternative) nichts essen wollte. Das Gefühl des Hungers ist ja auch wichtig für die Nahrungsaufnahme. Denn wenn du dich hungrig an den Tisch setzt, isst du ja auch mehr und es ist schöner zu essen, als wenn du dich satt an den Tisch setzt.

Entscheidend ist auch, dass sich die Bezugspersonen zusammensetzen und sich überlegen: Wie ist denn unsere Esssituation eigentlich? Wie gestalten wir diese? Die meisten Bezugspersonen bieten dem Kind eine ganze Reihe an Auswahlmöglichkeiten an: „Wenn du das nicht essen willst, willst du dann lieber das? Oder das? Oder das?“. Dadurch bekommt das Kind im Endeffekt viel mehr Aufmerksamkeit, wenn es nicht isst, als wenn es isst. Und genau das muss man umdrehen.

Natürlich ist es nicht leicht, diese Situation wieder „umzudrehen“. Dennoch sollte man versuchen, von der subjektiven Ebene auf die Sachebene zu wechseln, indem man sich darüber Gedanken macht, was Essen denn eigentlich ist. Essen bedeutet, dass ich Kalorien in einer zumindest halbwegs vernünftigen Form zuführen muss, es soll Spaß machen und es soll im Kreis der Familie stattfinden. Am besten sollten die Kinder bei der Essenszubereitung helfen. Ab einem gewissen Alter können Kinder schon selbst mal eine Gurke schneiden, oder etwas abwiegen, in den Topf werfen, etc.. Das fördert nicht nur die kognitive Leistung und die Feinmotorik, sondern stellt auch den Bezug zu den Nahrungsmitteln her.

Was sollte man ihrer Meinung nach denn als Bezugsperson auf gar keinen Fall machen?

Dr. med. Tobias Reploh:

  • Das Kind zum Essen zwingen: Das Kind sollte niemals zum Essen gezwungen werden. Zum Beispiel indem man sagt: „Wenn du nicht aufisst, dann gibt es xy nicht“. Oder: „Wenn du nicht aufisst, scheint morgen nicht die Sonne / sterben in anderen Ländern die Kinder“. Das stellt Zusammenhänge her, die gar nicht existieren und ist sicherlich nicht förderlich.
  • Liebesentzug: Das Schlimmste ist, wenn man dem Kind mit Liebesentzug droht oder es tatsächlich mit Liebesentzug bestraft, wenn es nicht das oder so isst, wie man es als Bezugsperson möchte. Davon kann ich nur dringlich abraten. Wichtig ist außerdem, dass man (auch wenn es schwerfällt) es unterlässt, das Kind zu füttern (sofern es nicht mehr im „Fütter-Alter“ ist).
  • Zu hohe Erwartungen: Als Bezugsperson sollte man nicht davon ausgehen, dass das Kind die Portionsgröße, die man bestimmt hat, aufessen muss. Es ist einfach nicht richtig zu erwarten, dass das Kind den Teller leer isst, wenn es ein natürliches Sättigungssignal hat. Es ist absolut okay, wenn das Kind einfach mal weniger oder kaum Hunger hat und schon früh satt ist.
  • Ablenkungsmanöver: Zusätzlich würde ich dringend davor warnen (vor allem im Kleinkindesalter), große Ablenkungsmanöver zu starten. Denn wir wissen ja, dass das dazu führen kann, dass sich Kinder angewöhnen, nur noch im Zuge solcher Ablenkungsmanöver zu essen. Da gibt es wirklich verrückte Beispiele. Unter anderem hatte ich mal ein Kind, welches eine Zeit lang nicht gut gegessen hat. Aus reinem Zufall haben die Eltern dann angefangen, das Kind in der Badewanne während des Badens zu füttern. Letztendlich ist das so eskaliert, dass das Kind nur noch ausschließlich in der Badewanne gegessen hat. Das ist dann natürlich ein massives Fehlessverhalten, wenn man das Kind drei Mal am Tag in die Badewanne stecken muss, damit es überhaupt noch was isst. Man denkt sich jetzt, dass sich das total unmöglich anhört. Aber es passiert leider recht schnell, dass Kindern solch ein Essverhalten antrainiert wird.  

Was soll man denn machen, wenn das Kind wirklich nur eine bestimmte Sache isst? Wie Sie vorhin gesagt haben, nur pure Nudeln mit Butter zum Beispiel. Soll man das dann einfach mitmachen oder ist das bedenklich?

Dr. med. Tobias Reploh: 

Die Frage bekomme ich oft gestellt. Da gibt es verschiedene Ansätze und Richtungen in der Pädiatrie (Kinderheilkunde, Anmerkung der Redaktion). Natürlich sollte ein Kind morgens, mittags, abends nicht nur Nudeln essen. Ich empfehle dann immer, sich mal wirklich sieben Tage lang detailliert zu notieren, was das Kind denn wirklich isst. Anschließend schaut man sich den Essensplan dann nochmal an. Dann erkennt man oft, dass das Kind doch mehr als nur die Nudeln mit Butter isst. Hier mal ein bisschen Obst, da ein wenig Gemüse (ob roh oder gekocht ist egal), ein bisschen Müsli mit Quark zum Frühstück und noch eine Wiener abends zu den Nudeln mit Butter dazu. Sollte man merken, dass Obst und Gemüse wirklich gar nichts für das Kind sind, kann man auch mal seine Strategie wechseln und das Ganze als Smoothie zubereitet servieren.

Gleiches gilt auch für Fleisch, welches einfach mal im pürierten Zustand mit in eine Suppe gegeben werden kann. Damit sind dann schon alle wichtigen Nährstoffbereiche abgedeckt, obwohl es den Bezugspersonen so vorkommt, als würde das Kind nur noch Nudeln mit Butter essen. Natürlich ist es für die Bezugspersonen frustrierend, wenn das Kind anderes Essen verschmäht, aber irgendwann kommt dann auch der Punkt, wo das Kind wieder andere „Hauptmahlzeiten“ als nur Nudeln mit Butter isst.

 

Sie sagen ja, dass das phasenweise Verweigern oder Reduzieren von Essen sowie das einseitige Essen absolut normal ist. Ab wann würden Sie denn sagen, ist es bedenklich? Ab wann sollte man als Bezugsperson etwas unternehmen? Wo kann man sich Hilfe holen?

Dr. med. Tobias Reploh:

Sicher ist die große Milchmenge ein Problem. Milch ist ein gutes Getränk, aber nur in einer kleinen Portion, also maximal 250 ml in 24 Stunden. Die Milchmenge ist ein nicht zu unterschätzender Punkt, denn es gibt teilweise wirklich Kinder, die sich bis in den Eisenmangel trinken. Wenn man merkt, dass das Kind nur Fläschchen trinkt und nichts isst, ist das ein bedenklicher Punkt.

Des Weiteren ist die Gewichtsabnahme auch ein wichtiger Indikator. Auch hier empfehle ich das Ganze zu objektivieren, wenn das Gefühl aufkommt, dass das Kind abnimmt. Das kann man ganz einfach umsetzen, indem man das Kind eine Zeit lang alle ein bis zwei Wochen auf die Waage stellt und sein Gewicht dokumentiert. Auch das Auftreten von Symptomen wie beispielweise Blässe und Müdigkeit sind wichtige Punkte, die einen aufhorchen lassen sollten. Erster Ansprechpartner wäre da der Kinderarzt. Es gibt auch weitere Spezialstellen, die aufgesucht werden können, je nachdem was das Kind hat. Kinder mit Schluckstörungen gehen beispielsweise zur Logopädie oder Kinder mit Interaktionsproblemen gehen in Mutter-Kind-Einrichtungen oder in SPZs. Da muss der Kinderarzt einfach erforschen, was vorliegt und dementsprechend eine Überweisung ausstellen. Aber den Großteil der Ursachen kann der Kinderarzt selbst behandeln.

Wie sollten Bezugspersonen denn am besten reagieren, wenn man das Gefühl hat, dass der Kinderarzt einen nicht ernst nimmt?

Wenn Kinder nicht mehr essen wollen: Wie Bezugspersonen am besten reagieren

Dr. med. Tobias Reploh:

Das ist immer schlecht. Wenn man das Ernährungsthema beim Kinderarzt nur in einem Nebensatz erwähnt, kann es natürlich passieren, dass er das nicht wahrnimmt. Ich rate dazu, wichtige Dinge nochmal bewusst anzusprechen: „Ich hätte gerne einen weiteren Termin zum Thema Ernährung“. Da kann man dann ruhig offen sagen: „Ich hatte das letzte Mal das Gefühl, Sie haben das nicht ernst genommen. Ich mache mir da Sorgen aus diesen und jenen Gründen.“

Das ist wichtig, das so offen anzusprechen, bevor man sich überlegt den Arzt zu wechseln. Denn oft werden bei Kinderarztbesuchen so viele verschiedene Themen angesprochen, dass dem Arzt nicht klar ist, welche Themen den Bezugspersonen wirklich wichtig sind und welche nicht. Natürlich kann man alternativ auch zu einem Facharzt wechseln – in diesem Fall wäre das der Kindergastroenterologe.

Eine letzte Frage gibt es noch: Was würden Sie denn Pädagogen im Speziellen empfehlen, wenn ihnen in der Kita auffällt, dass ein Kind ein sehr auffälliges Essverhalten hat. Klar, die Eltern darauf ansprechen. Doch was ist, wenn das keine Wirkung erzielt? Und wie sollen sie in der Gruppe im pädagogischen Alltag mit dem Kind umgehen?

Dr. med. Tobias Reploh:

Das ist eine gute Frage. Grundsätzlich ist es so, dass das Kind in der Gemeinschaftseinrichtung sicherlich den Vorteil hat, dass es dort die Gruppendynamik gibt und somit wahrscheinlich in der Kita besser isst, als daheim.

Denn wenn alle Kinder das gleiche Essen bekommen und es beispielsweise grüne Suppe gibt , die  das Kind zuhause nicht isst, aber alle anderen aus seiner Gruppe essen , dann ist es wahrscheinlicher, dass das gleichaltrige Kind diese auch zu sich nimmt.

Bei auffälligem Essverhalten sollte man aber natürlich die Eltern aktiv darauf ansprechen. Wenn die Eltern da eher abwesend reagieren, dann sollte man noch einmal das Gespräch suchen. Wichtig ist dabei die Formulierung. Zwischen dem Satz: „Ich mache mir Sorgen, weil ich glaube ihr Kind ist total krank“ und einem „Das fällt uns auf und ist bei ihrem Kind ganz anders als eben bei den anderen Kindern. Wir kommen da jetzt an unsere Grenzen, denn diese Art der Ernährung in der Gemeinschaftseinrichtung ist eben vorgegeben“ liegen Welten.

Grundsätzlich würde ich Pädagogen davon abraten, dem Kind etwas Spezielles zu essen zu geben (ausgenommen natürlich es hat Allergien oder anderweitig gesundheitliche Gründe). Da würde ich den Eltern mitteilen, dass das Kind heute nicht wirklich viel gegessen hat und die Eltern dann nachmittags vielleicht nochmal eine üppigere Mahlzeit machen müssen.

Sonst wird das zu kompliziert. Denn wenn Kinder merken, dass ein Kind in der Gruppe eine extra Behandlung bekommt, weil es das vorgegebene Essen nicht isst, kann es sein, dass weitere Kinder das „gewöhnliche“ Essen ablehnen, um auch eine Sonderbehandlung zu erhalten. Das wäre meine allgemeine Empfehlung, wobei es natürlich auch Ausnahmen gibt. Wenn zum Beispiel ein Kind mal einen schlechten Tag hat und sehr traurig ist, wäre eine kleine extra Behandlung gerechtfertigt. Deshalb sollte man solche Situationen immer individuell betrachten.

Zur Not kann man als Pädagoge auch zu den Eltern sagen, dass man gerne Kontakt zum Kinderarzt aufnehmen würde undfragen, ob das in Ordnung wäre und sich diesbezüglich eine Schweigepflichtentbindung geben lassen. Das sollte allerdings immer der letzte Ausweg sein!

*Anzumerken ist hierbei, dass es sich auf die Alltagsgetränke bezieht. Eine Portion Milch am Tag ist in Ordnung.

 

Tobias Reploh: Wenn Kinder nicht mehr essen wollen

Unser Experte:
Dr. med. Tobias Reploh

Dr. Tobias Reploh ist Kinder- und Jugendarzt und betreibt eine Kinderärztliche Gemeinschaftspraxis in Bad Tölz. Zusätzlich ist er Kindernotarzt, leitender Notarzt, stellv. Chefarzt des Bayerischen Roten Kreuzes (Kreisverband Bad Tölz-Wolfratshausen), ehrenamtlich aktiv als Bergwachtnotarzt und stellv. Vorsitzender des Tölzer Notärzte e.V.

2008 veröffentlichte er seine Dissertation über die langfristige Evaluation des Erfolges der stationären Rehabilitationsmaßnahme bei Adipositas im Kindes- und Jugendalter.

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